Mit der Linienzucht beschäftigen sich alle Kleintierzüchter; die Handhabung dieser Zuchtmethode setzt Verständnis der Genetik und deren Gesetze voraus. So verlangt diese Zuchtmethode genaue Aufzeichnungen der Paarungen; doch zuvor ist ein Paarungsplan zu erstellen, der die einmal festgelegte Strategie der Zucht auch umsetzt.
Züchten heisst ganz allgemein die zukunftsgerichtete Fortpflanzung der Tiere nach Gesichtspunkten des Menschen zu vollziehen. Auch in der Kaninchenzucht sind Merkmale zu fördern und andere, unerwünschte zu unterdrücken. Was muss man deshalb wissen, um erfolgreich hier „mitzumischen“?
Den Stammbaum aufzuzeichnen hilft Verwandtschaftsgrade zu kennen
Mit dem Verwandtschaftsgrad (=r) wird angegeben, wie hoch der Anteil von herkunftsgleichen Allelen (Genen) zwischen zwei nicht ingezüchteten Tieren ist. Die Züchter sprechen zum besseren Verständnis von Blutsanteil eines Tieres und meinen damit den Anteil am Erbgut eines Vorfahrens.
Nachkomme | Eltern | Grosseltern | Urgrosseltern |
Rammler F | Rammler H | ||
Zibbe B | |||
Rammler M | Zibbe A | Rammler K | |
Zibbe C | |||
Zibbe F | |||
Zibbe T | Rammler P | Rammler Q | |
Zibbe H | |||
Zibbe M | Rammler P | ||
Zibbe K |
Die Zibbe F steht zu seinen Eltern (Rammler M und Zibbe T) in einem Verwandtschaftsgrad von r = ½. Zu seinen Grosseltern (Rammler F und Zibbe A; Rammler P und Zibbe M) steht die Zibbe F in einem Verwandtschaftsgrad von r = ¼ oder 25 Prozent; zu seinen Urgrosseltern ist es noch r = 1/8 oder 12.5 Prozent.
Die Zibbe F weist keinerlei Inzucht auf, weil kein Tier auf der Abstammungstabelle mehr als einmal eingesetzt wurde.
Hohe Heritabilitätswerte (=Erblichkeiten) wären erwünscht
Mit der Heritabilität (h2) wird angegeben, wie stark die Merkmale der Tiere allein durch die Erbanlagen beeinflusst werden. Diese Verhältniszahl liegt zwischen 0 und 1 beziehungsweise zwischen 0 und 100 %. Eine Erblichkeit von 100 % bedeutet, dass die Ausprägung des Merkmals nur von Genen abhängt und von der Umwelt nicht beeinflusst wird (zum Beispiel Farbe). Das heisst also immer, dass der genetische Anteil an der Merkmalsausbildung gross ist und eine Selektion aufgrund und individuellen Leistungen der Kaninchen erfolgversprechend sind. Bei tiefer Erblichkeit (h2) hingegen der Umwelteinfluss sehr hoch und Verbesserungen eines Merkmals vorwiegend über bessere Umweltbedingungen erreicht werden.
Fruchtbarkeitsparameter wie beispielweise die Wurfgrösse bei Geburt weisen eine sehr tiefe Erblichkeit auf. Das heisst auch, dass die züchterischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Fruchtbarkeit begrenzt sind und über Optimierung der Umwelt wesentlich erfolgsversprechender ist (Fütterung, Haltung etc.).
Gering 0.01 < h2 < 0.20 z. B. Fruchtbarkeit und Säugeleistung | Mittel 0.20 < h2 < 0.40 z. B. Wachstum und Futterverwertung | stark 0.40 < h2 < 0.60 z.B. Schlachtleistung und Wollleistung |
Wurfgrösse (bei Geburt und Absetzen) Vitalität der Jungtiere Absetzgewicht /Tier | Individuelles Gewicht (ab 35. Lebenstag) Tägliche Gewichtszunahmen (nach Absetzen oder von Geburt bis zum Schlachtalter) |
Schlachtertrag Wollertrag (Angora-Kaninchen) |
Quelle: reduziert aus Schlolaut 3. Auflage

Linienzucht tönt besser als Inzucht
Mit der Linienzucht will der Tierhalter grundsätzlich, rassentypische Merkmale eines bestimmten Tieres in seinen Nachkommen mit homozygoten (reinerbig) Merkmalen so festigen, dass sie sicher weitervererbt werden.
Wie geht das?
Ein sogenannter Stammrammler, der sich bereits bewährt hat, gelangt verstärkt zum Einsatz, auch Verpaarung mit Nachkommen. Ueber mehrere Generationen lässt sich ein Linienaufbau erlangen, der allerdings zu einem ständig wachsenden Inzuchtgrad führt. Mit einer bewusst eingesetzten Linienzucht praktiziert man eine Verpaarung von Kaninchen, die näher verwandt sind als der Durchschnitt der Rasse. Man weiss auch aus dem Volksmund, dass Linienzucht weit besser tönt als der anrüchige Begriff Inzucht, obwohl zwischen den beiden Begriffen kein Unterschied gemacht werden kann.
Was beispielsweise in der Hundezucht nicht mehr praktiziert wird ist die Inzestzucht, das Vater- Tochter-Paarungen beziehungsweise Mutter -Sohn- Paarungen sowie Geschwisterpaarungen. Die Vorteile einer solchen Paarung sind aber auch bekannt; mit Inzestpaarungen leicht herauszufinden ist, was ein Rammler oder eine Zibbe nun vererbt.
Linienzucht schematisch dargestellt
Ein männliches Tier wird als sogenannter „Stammrammler“ eingesetzt; der Rammler ist absolut nicht verwandt mit dem anzupaarenden weiblichen Tier. | Ein weibliches Tier wird als sogenannte Stammzibbe eingesetzt setzt; die Zibbe ist absolut nicht verwandt mit dem anzupaarenden männlichen Tier. |
Aus den Nachkommen des Wurfes (Stammrammler mit Stammzibbe) werden das beste weibliche Tier (Zibbe F1) und das beste männliche Tier (Rammler F1) für die nächste Paarung eingesetzt. Damit ergeben sich nun zwei Linien. | |
Aus der Paarung (Stammrammler gepaart mit F1-Zibbe) wird das beste weibliche Tier (Zibbe F2) ausgewählt und wiederum mit dem Stammrammler gepaart | Aus der Paarung (Stammzibbe gepaart mit F1- Rammler) wird das beste männliche Tier (Rammler F2) ausgewählt und wiederum mit der Stammzibbe gepaart |
Aus der Paarung (Stammrammler gepaart mit F2-Zibbe) wird das beste weibliche Tier (Zibbe F3) ausgewählt und wiederum mit dem Stammrammler gepaart. | Aus der Paarung (Stammzibbe gepaart mit F2- Rammler) wird das beste männliche Tier (Rammler F3) ausgewählt und wiederum mit der Stammzibbe gepaart. |
Mit der Linienzucht ist es möglich, stammbaumartig die Zucht über viele Generationen aufzubauen und zwar ausschliesslich auf dem Erbgut des Stammrammlers und der Stammzibbe ohne Zukauf von fremden Tieren. Es ist eine laufende Rückverpaarung des jeweils besten Sohnes eines Wurfes mit der Stammzibbe und der jeweils besten Tochter eines Wurfes mit dem Stammrammler. So entstehen zwei Linien; eine, in der das Erbgut der Stammzibbe und eine zweite, in der das Erbgut des Stammrammlers angehäuft wird. Aber Achtung mit jeder Generation nimmt der Inzuchtgrad zu und damit die Gefahr von Fruchtbarkeits- und Vitalitätsproblemen.
Ahnenverlustkoeffizient ist einfach zu berechnen
Eine der einfachsten Möglichkeit, etwas über die genetische Herkunft des Nachkommens auszusagen, ist die Berechnung des Ahnenverlustkoeffizienten. Dieser gibt an, wie hoch der Anteil der unterschiedlichen Ahnen im Stammbaum des Nachkommens ist.
Ahnenverlustkoeffizient = 1- Av/Am
Sind alles unterschiedliche Ahnen, gibt dies das Resultat AVK = 0 Prozent; er wird maximal auf 5 Generationen oder 62 Ahnen berechnet.
Nachkomme | Eltern | Grosseltern | Urgrosseltern |
Rammler F | Rammler H | ||
Zibbe T | |||
Rammler M | Zibbe A | Rammler K | |
Zibbe C | |||
Zibbe F | |||
Zibbe T | Rammler M | Rammler Q | |
Zibbe H | |||
Zibbe M | Rammler P | ||
Zibbe K |
Total sind 14 Ahnen; davon kommen zwei doppelt vor macht noch 12 Ahnen.
AVK = 1 – 12/14 = 0.143 = 14.3 %
Der Ahnenverlust beträgt 14.3 Prozent (85.7 Prozent sind unterschiedliche Ahnen). Der Ahnenverlustkoeffizient sagt nichts über den Homozygotiegrad eines Nachkommens aus. Es sind auch keine Angaben vorhanden, wie eng die Eltern miteinander verwandt sind.

Zuchtprogramm mit Topcross-Verfahren
Unter Topcross-Verfahren versteht man die Paarung von ingezüchteten Rammlern mit Zibben, die überhaupt nicht ingezüchtet sind und mit den Vatertieren auch nicht verwandt sind. Nach Schloaut sollten die Rammler einen Inzuchtkoeffizient von 37.5 Prozent aufweisen. Diesen Grad erhalten die Nachkommen über zwei Generationen Vollgeschwisterpaarung. Die Risiken der Inzucht sind so nur bei den Vatertieren und halten sich somit in Grenzen.

Bildquellen
- A1: Heinz Schmid
- OLYMPUS DIGITAL CAMERA: Heinz Schmid
- Foto 1: Heinz Schmid
- Grösse Herde Legehennen: Heinz Schmid